erste Hälfte des 19. Jhd.
Deutsche Romantik – Das Fenster zum Ich
Was formt die Seele eines Landes? Wann entwickelten die Deutschen eine gemeinsame Identität? Ausgerechnet Napoleon Bonaparte gab seinen östlichen Nachbarn einen wichtigen Impuls zur Entstehung ihres Nationalbewusstseins. Auch wenn es wohl das Letzte war, was der Franzose mit der Überquerung des Rheins 1805 bezweckte, einte er die Deutschen so doch in dem Ziel, sich von ihren Besatzern zu befreien. In dieser Stimmung avancierte Clemens Brentanos romantische Ballade „Lore Lay“ zum Nationalmythos und gab dem Volk ein kulturelles Band. Bis heute prägt das Gedicht von der unglückbringenden, verzauberten Schönen am Rheinfels die deutsche Kulturgeschichte. Der Abzug der Franzosen 1813 und die Loreley, zwei stark identitätsstiftende Motive, in einem Gemälde vereint! Dieses Motiv hätte von Caspar David Friedrich stammen können.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erscheint die Welt vielen Menschen zunehmend kalt, rational und leidenschaftslos. Immanuel Kant und seine Theorie über die Vernunft beherrschen die Philosophie. Die Industrialisierung schreitet voran und lässt die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch wachsen. Aus diesem Leben wollen die Künstler ausbrechen und ihre Gefühle, Träume und Sehnsüchte entdecken. Die Malerei wendet sich gegen die klassizistische Strenge und sucht das Individuelle. Gemälde sollen das Fenster zu eigenen Wurzeln, Welten und Gefühlen öffnen – mit nebelverhangenen Burgen, mystischen Orten wie aus romanischen Sagen und einem sehnsuchtsvollen Blick in die Ferne.
Ludwig Richter, Otto Runge und allen voran Caspar David Friedrich zählen zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Romantik. Friedrich ist auch der bekannteste Porträtist deutscher Landschaften, die er mystisch verzaubert. Der Maler, der sich mit Clemens Brentano, Heinrich Kleist u.a. zum Kreis der „Vaterlandsfreunde“ zusammenschließt, gibt damit dem entstehenden deutschen Nationalbewusstsein einen Inhalt, ebenso wie Brentanos „Lore Lay“, Das Gedicht, das die Seele der Deutschen ergreift, hat Friedrich ganz sicher gekannt. Gemalt hat er es jedoch nie.